Vermeintliche Flexibilisierung darf nicht zur Erstarrung führen

BAYERN. Das Landeskomitee der Katholiken in Bayern sprach sich ausdrücklich gegen eine Lockerung beim Sonntagsschutz in Bayern aus. Es betonte, dass das Leben „nicht nur aus Konsum und Arbeit“ bestehe.

Die neuerlichen Vorstöße aus Handel und Industrie, den Sonntagsschutz in Bayern zu lockern, sind so wenig überzeugend wie enervierend. Insbesondere die großen Warenhausketten wollen zu einem Zeitpunkt unbeschränkte Ladenöffnungen in den Innenstädten, zu dem die aktuelle wirtschaftliche Lage sowie der Blick in die wirtschaftliche Zukunft Bayerns kaum besser sein könnten.

Vor diesem Hintergrund sind die Bestrebungen, ein eigenes bayerisches Ladenschlussgesetz auf den Weg zu bringen, abwegig und unnötig. Das Gesetz über den Ladenschluss auf Bundesebene ist in seinen Bestimmungen vollkommen ausreichend und eindeutig. Eigentlich müsste allen Beteiligten längst klar sein, dass längere Öffnungszeiten nicht zu mehr Umsatz, sondern lediglich zu einer Verlagerung der Umsatzzeiten führen.

Damit entpuppt sich das schon gebetsmühlenartig vorgetragene Argument der wirtschaftlichen Notwendigkeit als Scheinargument. Die guten Wachstumsraten unserer Volkswirtschaft, gerade in Bayern, sind in den vergangenen Jahren erzielt worden, ohne dass am Sonntagsschutz gerüttelt worden wäre. Auch wird die Konkurrenz durch den Internethandel für klein- und mittelständische Betriebe nicht mit längeren Öffnungszeiten aufzuhalten sein. Vielmehr müssen attraktive Angebote und zukunftsorientierte Konzepte im Handel Vorrang haben. Die Spirale des gegenseitigen Verdrängungswettbewerbs würde sich bei einer Aufweichung oder Freigabe nur weiter drehen, ohne Rücksicht auf die betroffenen Beschäftigten und ohne Rücksicht auf die kleineren Familienbetriebe, die überlange Öffnungszeiten nicht durchhalten können. Vielen Menschen, die bislang noch nicht selbst von Arbeitszeiten am Sonntag betroffen sind, ist vermutlich nicht bewusst, welchen Preis sie letztlich für mehr Dienstleistungsangebote am Sonntag zu zahlen hätten.

Man lässt sich von den vordergründig gebotenen Möglichkeiten leicht blenden, ohne zu ahnen, dass langfristig alle vom Verlust gemeinsamer Ruhezeiten betroffen sein werden. Unsere Kultur, die unverkennbar vom Christentum geprägt worden ist, besteht nicht nur aus Konsum und Arbeit, sondern ganz wesentlich aus sozialen Kontakten in Familie und Gemeinschaft. Wenn am Ende einer Entwicklung, die wir als Landeskomitee der Katholiken in Bayern nicht nur aus theologischen, sondern vielmehr aus gesellschaftspolitischen Gründen strikt ablehnen, eine völlige Freigabe der Ladenöffnungszeiten stehen würde, hätten die Beschäftigten aller Branchen abwechselnd auch am Sonntag zu arbeiten. Damit würde jedoch der Sonntag seine Funktion als gemeinsamer Ruheanker für die Familie endgültig verlieren. Jeder Tag der Woche würde zu einem Werktag. Besonders fatal an den aktuellen Bestrebungen ist die konzertierte Aktion von wirtschaftlicher Seite, einerseits den Sonntagsschutz aufzuweichen und andererseits für eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu werben. Den Beschäftigten soll suggeriert werden, dass sie mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit an Entscheidungsfreiheit gewinnen.

Das Gegenteil wird der Fall sein. Unter dem Deckmantel der Flexibilisierung soll der Anspruch auf noch mehr Dienst- und Rufbereitschaften durch die Betriebe verkauft werden. Selbst wenn es für die betroffenen Arbeitskräfte im Einzelfall nicht zum eigentlichen Dienst im Betrieb kommen sollte, wird die verfügbare Zeit für die Gestaltung gemeinsamer Freizeit mit Familie und Freunden auf ein unerträgliches Maß reduziert. Die für die Gesellschaft fraglos notwendige Daseinsvorsorge und Notfallversorgung stellen durch die notwendigen Schichtdienste, gerade auch an Sonn- und Feiertagen, für die Betroffenen und ihre Angehörigen bereits große Herausforderungen dar, die nicht weiter ausgedehnt werden dürfen. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt raubt dem menschlichen Leben die nötige Flexibilität. In der Konsequenz würde so mehr Flexibilisierung zu mehr Erstarrung in unserer Gesellschaft führen.

Die lebendigen, geplanten und spontanen Aktivitäten in der Familie und im Freundeskreis würden folgenschwer darunter leiden, weil es für immer weniger Beschäftigte möglich wäre, überhaupt noch freie Zeiten für gemeinsame Aktionen zu finden. So wichtig die Arbeit als sinnstiftender Faktor im Leben des Menschen sein kann, so wenig ist sie das einzige Charakteristikum, das uns zu Menschen macht. Sie darf und sie muss nicht die Entscheidungshoheit über die Gestaltung des täglichen Lebens der Menschen gewinnen. Wir leben nicht, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten, um zu leben. Diese Reihenfolge sollten sich alle Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik immer wieder vor Augen führen, wenn sie meinen, in die Lebensgestaltung der Menschen eingreifen zu wollen.

Joachim Unterländer (MdL), Vorsitzender
Einstimmig vom Präsidium des Landeskomitees der Katholiken in Bayern am 21. Juli 2017 beschlossen.